Kenya Herrera Bórquez

La cabrona aqui soy yo

Cuerpos y subjetividades femeninas en la narcocultura de la frontera norte de Mexico



ISBN: 978-3-86956-460-9
214 Seiten
Erscheinungsjahr 2019

Reihe: Potsdamer Bibliothek der WeltRegionen , 3

11,50 

In den vergangenen zehn Jahren hat das Interesse am Phänomen des mexikanischen Drogenhandels weltweit zugenommen. Die verschiedenen Ausdrucksformen extremer Gewalt, die das illegale Geschäft mit den Drogen begleiten, werden medial verbreitet und ausgeschlachtet und lösen breite Faszination aus. So wird die kollektive Vorstellungskraft über das Geschäft mit den Drogen mit Geschichten und Bildern aus Literatur, Film, Musik und Fernsehen genährt.

Dabei zirkulieren weltweit mediale Darstellungen der mexikanischen Drogenhändlerin, in welchen weibliche Stereotypen reproduziert und Frauen durch die Übertreibungen von den sexuellen Eigenschaften des weiblichen Körpers zu Objekten der Begierde gemacht werden, deren Schönheit den männlichen Drogenhändlern als Prestige- und Prunkstück dient. Die Kultur des Drogenhandels schreibt eine unverwechselbare weibliche Schönheitsnorm vor, welche von den involvierten Frauen akribisch nachgeahmt wird, um dem Ideal möglichst nah zu kommen. In den kulturellen Repräsentationen erscheint die in die narcocultura eingebundene Frau als gewalttätig und skrupellos, die ihre Schönheit und Anziehungskraft nutzt, um auf Kosten der verführten Männer an Geld und Macht zu gelangen. Außerhalb der Welt des Drogenhandels verursacht dieses hypersexualisierte Frauenbild negative Urteile, Diskriminierung, Misstrauen und Angst.

Die Absicht dieser Forschung besteht darin, hinter solche Stereotype zu blicken und nach der Komplexität der Lebenserfahrungen dieser Frauen zu fragen. Die vorliegende Doktorarbeit untersucht in welcher Weise sich die Lebensumstände mexikanischer Frauen unter dem Einfluss der narcocultura an der Grenze zu den USA verändern. Die Arbeit analysiert insbesondere die Transformationen von Körperlichkeit und Subjektempfinden der Frauen, sowie ihre dadurch beeinflusste Verortung im soziokulturellen Raum des Drogenhandels. Desweiteren wird untersucht, welche Spielräume der Selbstbehauptung und Selbstbestimmung sich für Frauen innerhalb der narcocultura ergeben.

Die Arbeit wird von den Fragen geleitet, auf welche Art und Weise die Frauen ihre Körper verändern, um ein bestimmtes ästhetisches Ideal zu erreichen, und welche Bedeutungen diesen Veränderungen zugeschrieben werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den unterschiedlichen Machtdynamiken, die von und durch diese Körper ausgelöst wurden, sowohl in den Beziehungen zu Männern als auch zu anderen Frauen.

Die Studie versteht sich als kulturwissenschaftliche Arbeit, geschrieben aus der Perspektive des intersektionalen Feminismus. Die Feldforschung wurde an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, insbesondere in den Städten des mexikanischen Nordwestens Mexicali und Tijuana, sowie im kalifornischen San Diego durchgeführt. Grenze wird dabei als polysemischer und heterogener Raum unterschiedlichster Bezüge und Deutungsmuster aufgefasst. Hieraus ergibt sich ein Befund äußerst vielfältiger und widersprüchlicher kultureller Phänomene.

Um jene kulturellen Phänomene zu verstehen, die von der Nordgrenze Mexikos ausgehen, ist das Konzept der transfrontera von José Valenzuela Arce (2014) hilfreich. Der Wissenschaftler schlägt vor, grenzüberschreitende Gebiete zu verstehen als “espacios que se niegan a una sola de las condiciones o los lados que la integran” (S. 9). In diesem Sinne beschreibt das Konzept der transfrontera Prozesse der Konnektivität und Gleichzeitigkeit, die durch die Globalisierung erzeugt werden und die Bedeutung von Staatsterritorium neu definieren. Gleichzeitig beschreibt es aber auch jene Eingrenzungen, welche von Staaten eingesetzt werden, um nationale Narrativen aufrechtzuerhalten, die als “referentes organizadores de adscripciones identitarias y culturales” (S. 18) Differenz und Ungleichheiten schaffen. Als solches kann eine Grenze weder nur als territoriale Begrenzung oder hierarchisierende Ein- bzw. Ausgrenzung von Personen erklärt werden, noch kann sie in ihrem vollständigen Ausmaß erfasst werden, wenn wir uns nur auf die Prozesse der kulturellen Hybridisierung konzentrieren, die in diesen Räumen stattfinden. Aus diesem Grund beschreibt Valenzuela Grenzen als Zwischenräume und Zwischenzeiten.

  Das Konzept der transfronteras hilft zu verstehen, wie sich das Globale und Lokale in semiotischen Systemen überschneiden, aus denen sich das kulturelle Universum des mexikanischen Drogenhandels zusammensetzt, und erklärt, wie Ausschlussmechanismen und Hierarchien auf der Grundlage von Geschlecht, sozialer Stellung und anderen Merkmalen sozialer Differenzierung strukturiert sind. Letztlich hilft es, jene kulturellen Prozesse zu lokalisieren, die sich in den Körpern der Frauen materialisieren.

Des Weiteren erwies sich das Konzept als wichtiges heuristisches Werkzeug. Kultur wird vor diesem Hintergrund verstanden als ein Prozess aus Produktion und Reproduktion symbolischer Modelle: Diese können sich als Artefakte oder Repräsentationen sowie als verinnerlichte Logiken der Lebensführung zeigen, eines Kanons von Werten und Glaubensgrundsätzen, die auf Grundlage individueller und kollektiver Praktiken von Frauen und Männern in historisch und räumlich spezifischen Kontexten zirkulieren. Die vorliegende Arbeit versteht narcocultura als ein semiotisches System, das sich rund um das transnationale und für den nordmexikanischen Grenzraum so typische Geschäft des illegalen Drogenhandels gebildet hat und sich durch äußerst diffuses Grenzen auszeichnet. So sind die Unterschiede zwischen der illegalen Welt des Drogenhandels und der Welt der Legalität außerhalb dieses Geschäfts bestenfalls verschwommen, schlimmstenfalls fiktiv. Die narcocultura überschreitet territoriale Grenzen und ist damit ein transnationales kulturelles Phänomen.

Es galt, die Merkmale der lateinamerikanischen Kulturwissenschaften (Estudios Culturales) und der Kulturwissenschaften in Deutschland abzugrenzen, die Genealogien dieser beiden Perspektiven zu unterscheiden und ihre Unterschiede zu verstehen. Vor allem aber ging es darum, Gemeinsamkeiten zu finden. Die zentrale Gemeinsamkeit ist dabei der transdisziplinäre Charakter dieser beiden akademischen Traditionen. Kulturwissenschaften werden dann als ein Raum der Artikulation zwischen den Disziplinen verstanden (Castro Gómez, 2002), der nicht auf die Vereinigung, sondern auf die Pluralisierung von Bedeutungen, Einstellungen und Wahrnehmungsweisen abzielt (Bachmann-Medick, 2016). Transdisziplinarität ermöglicht es, die Komplexität kultureller Phänomene nachzuvollziehen und Brücken zwischen verschiedenen Wissensformen und Forschungspraktiken zu schlagen.

Dabei ist die Perspektive des intersektionalen Feminismus für die Untersuchung zentral. Ein Beitrag des Feminismus an die Kulturwissenschaften, der die vorliegende Forschung beeinflusst hat, besteht darin, “Mann” und “Frau” als gegebene und unveränderliche natürliche Essenzen zu hinterfragen, ausgehend von folgender Prämisse: “los signos ‚hombre‘ y ‚mujer‘ son construcciones discursivas que el lenguaje de la cultura proyecta e inscribe en el escenario de los cuerpos, disfrazando sus montajes de signos tras la falsa apariencia de que lo masculino y lo femenino son verdades naturales, ahistóricas” (Richard, 2009, p. 77). Feministische Kulturwissenschaften gehen davon aus, dass diese Zeichen in einem System von Repräsentationen konstruiert werden, die Subjektivitäten in konkreten Kulturwelten artikulieren. Ihr Ziel ist es deshalb, die ideologischen Elemente, welche die Zeichen prägen, und die Konflikte, die durch ihre Verwendung und Interpretation entstehen, in bedeutenden Praktiken zu enthüllen.

Durch das Zusammenwirken mit weiteren sozialen Kategorien erhalten diese Zeichen unterschiedliche Bedeutungen und Ausgestaltungen von Differenz. Feministische Intersektionalität ist ein theoretischer und methodischer Diskurs, der die Erkenntnis vertritt, dass das Zeichen „Frau“ keine absolute Kategorie ist und daher die vielfältigen Lebenserfahrungen von Frauen nicht allein zu erklären vermag. Unterschiede werden nur dann lesbar, wenn sie als Überschneidungen von verschiedenen sozialen Kategorien wie sozialer Status, Rasse, Alter und Behinderung untersucht werden. Soziale Unterschiede basieren auf der diskursiven Naturalisierung der verschiedenen Merkmale von sozialen Kategorien, die ihrerseits sich verändernde soziale Konstrukte darstellen. Das Ziel einer intersektionalen Perspektive ist es, das Zusammenwirken verschiedener sozialer Kategorien in Institutionen, Praktiken und Subjektivitäten zu identifizieren, um zu verstehen, wie sich Ungleichheiten im Laufe der Zeit materialisieren.

Die für diese Arbeit grundlegenden theoretischen Konzepte sind Körper und Subjektivität. Körper wird hier verstanden als Ausdruck kultureller Codes und sozialer Hierarchien, als dynamische und wandelbare Grenze, an der das Körperliche, das Symbolische und das Soziale konvergieren. Subjekt und Körper konstituieren sich wechselseitig; der Körper ist das Medium, durch welches das Subjekt die soziale Umwelt erfährt, und es sind diese Erfahrungen, die das Subjekt dazu bringen, gesellschaftliche Unterschiede, etwa aufgrund von Rasse, des sozialen oder biologischen Geschlechts oder der sozialen Stellung zu verkörpern.

Für eine erleichterte Analyse konzentriert sich ein Teil der Arbeit auf den Körper, während der andere den Aspekt der Subjektivität in den Blick nimmt – stets im Bewusstsein der untrennbaren Beziehung, in welcher Körper und Subjektivität zueinanderstehen. Um die Dimension des Körperlichen zu verstehen werden Repräsentation und gelebte Erfahrung in ein Spannungsverhältnis gesetzt und anhand von audiovisuellem Material und ethnographischen Beobachtungen verglichen. Im Falle der Subjektivität werden die fiktiven Lebensdarstellungen in Romanen, den in qualitativ erhobenen Interviews erzählten Lebensgeschichten gegenübergestellt, um so die Brücke zwischen Repräsentation und gelebter Erfahrung zu schlagen.

Damit ist die vorliegende Studie qualitativ und transdisziplinär angelegt, wobei verschiedene Untersuchungsmethoden zum Einsatz kamen. Ethnographische Feldforschung wurde auf beiden Seiten der Grenze in verschiedenen Bars und Clubs durchgeführt, die bekanntermaßen von Menschen aus dem Umfeld der narcocultura oder von in den Drogenhandel involvierten Personen frequentiert werden. Bei den Begehungen vor Ort wurde das Erscheinungsbild der Frauen beobachtet: ihr Kleidungsstil, ihre Aufmachung, ihre Figur. Ebenso wurde ihr Verhalten untersucht: die Gestik und die Interaktionen mit anderen Personen vor Ort. Der soziale Raum der besuchten Lokalitäten wurde hinsichtlich der Etablierung von Regeln, Grenzen und Hierarchien zwischen Männern und Frauen untersucht. Drei Musikvideos von narcocorridos wurden auf Grundlage der Videohermeneutik mit dem Ziel analysiert, die Darstellungen von Frauen anhand jener physischen und verhaltensspezifischen Kriterien zu untersuchen, die bereits vorgestellt wurden.

Die methodische Kombination von Videoanalyse und ethnographischer Feldforschung ermöglicht eine vertiefte Untersuchung jener Bedeutungen, die weiblicher Körperlichkeit zugeschrieben werden, sowie der Wirkung dieser Zuschreibungen auf die Lebenswelten und sozialen Beziehungen der Frauen.

Es wurden fünf teilstrukturierte Interviews mit Frauen durchgeführt, die sich selbst als Teil der narcocultura identifizierten. Einige von ihnen sympathisieren mit dem dazu gehörenden Lebensstil, andere waren auf verschiedene Weise direkt in den illegalen Handel mit Drogen involviert. Die Interviews nahmen die Aussagen der Frauen über ihre Lebenswirklichkeit als Ausgangspunkt für eine Analyse von Diskursen über Weiblichkeit, Frau-Sein und Alltag als Frau in der Welt des Drogenhandels. Außerdem habe ich zwei literarische Erzählungen über den Drogenhandel in Nordmexiko mit weiblichen Protagonistinnen verwendet. Ich habe die Konstruktion des weiblichen Subjekts in der Erzählung untersucht sowie die in diesen Texten erkennbaren Diskurse über Weiblichkeit und Frau-Sein in der Welt des narco.

Auch an dieser Stelle werden Repräsentation und gelebte Erfahrung einander gegenübergestellt, um diskursive Gemeinsamkeiten in den literarischen Erzählungen und den in den Interviews geschilderten Erfahrungen der Frauen herauszuarbeiten und so Erklärungen für Subjektivierungsprozesse in der mexikanischen narcocultura zu finden.

Der erste Teil der Analyse stellt die ethnographische Beobachtung in einen Dialog mit dem audiovisuellen Material, um die ästhetischen Anforderungen zu verstehen, welche die narcocultura an Frauen stellt, sowie die Art und Weise, wie Frauen ihre Körper verändern, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Die narcocultura zwingt den Frauen ein ästhetisches Ideal auf, dessen Umsetzung exklusiven Zutritt und Einfluss in dieser Welt verspricht. Das Ideal verlangt einen spezifischen Typus von Physiognomie und Erscheinungsbild, dem die Frauen mithilfe verschiedener Körpereingriffe versuchen gerecht zu werden: Make-up, Haar-Styling und/oder plastische Chirurgie. Dazu kommt ein spezieller Modestil aus exklusiven globalen Marken, sowohl für Kleidung als auch Accessoires, den es zu bedienen gilt. Je zuverlässiger dieses Ideal erfüllt wird, desto eher ermöglicht das den Frauen den Zugang zu finanziellen und gesellschaftlichen Vorteilen, mit denen sie sich Handlungsspielräume innerhalb des sozialen Milieus verschaffen. Der Körper ist das primäre Merkmal, um die Position zu bestimmen, welche die Frauen innerhalb der hierarchisierenden Systeme von Inklusion und Exklusion in den physischen und sozialen Räumen der narcocultura besetzen. Diese Differenzierungsmechanismen reproduzieren die sozialen Ungleichheiten von Geschlecht, Alter, sozialer Herkunft und Rasse, welche sich auch in anderen Milieus der mexikanischen Gesellschaft beobachten lassen.

Die ethnographische Beobachtung und audiovisuelle Analyse zeigen, dass die Möglichkeiten, Weiblichkeit darzustellen, auf ein sehr enges Repertoire beschränkt sind. Alicia Gaspar de Alba nennt dies das Drei-Maria-Syndrom (Three Maria Syndrome), welches sie definiert als “the patriarchal social discourse of Chicano/Mexicano culture that constructs women’s gender and sexuality according to three Biblical archetypes -virgins, mothers and whores-” (Gaspar de Alba, 2014, Pos.3412). Diese Darstellungen von Weiblichkeit sind Allegorien jener Zwänge, welche die mexikanische Machista-Kultur den Frauen auferlegt und sie einem begrenzten Repertoire an Lebensentscheidungen und der sozialen Kontrolle ihrer Sexualität unterwirft. Die Positionen, welche Frauen in der narcocultura besetzen ergeben sich aus ihrer körperlichen Schönheit: der Körper wird dadurch zu ihrer wichtigsten Referenz, um sich selbst als Subjekte zu definieren.

Frauen sind Objekte der Begierde, deren Schönheit ein weiteres Juwel in der Krone eines Drogenhändlers darstellt, ein Besitztum unter vielen für die Zurschaustellung seiner Macht. Gleichzeitig finden sich auch immer häufiger Repräsentationen von Frauen als aktive Subjekte, die sich, gleich den Männern, am Geschäft und der Gewalt des Drogenhandels beteiligen. Diese Frauen verstoßen gegen das traditionelle mexikanische Ideal von Weiblichkeit, welches Fügsamkeit, Sanftheit und Unterwerfung, Bescheidenheit und Gelassenheit vorschreibt. Frauen nehmen Qualitäten an, die als männlich gelten, indem sie die Ausübung von Gewalt und sexueller Aggression für sich in Anspruch nehmen, um zu zeigen, dass auch sie sich in einer aggressiven und hypermaskulinen Welt bewegen können. Und dennoch bleibt auch die mutige und kämpferische Frau innerhalb jener Grenzen gefangen, welche die patriarchale Kultur dem heterosexuellen Regime auferlegt und folgen damit den Vorschriften des Drei-Maria-Syndroms auf den Punkt genau.

Dies zeigt sich in einem hierarchischen System, in welchem Frauen in der Narkokultur nach bestimmten Kriterien bewertet werden, in denen sich die Komponenten von Rasse, Geschlecht und Klasse überschneiden. Obwohl diese Unterscheidungsmerkmale sich auf sehr unterschiedliche Weise in den Körper einer Frau einschreiben, lässt sich durch die Analyse der Repräsentationen und ethnographischen Beobachtungen feststellen, dass die privilegiertesten Frauen diejenigen sind, die die Merkmale eines hohen ökonomische Status verkörpern: Sie sind hellhäutig, attraktiv und achten auf eine diskrete Repräsentation von Weiblichkeit, die insbesondere im Ausdruck von Sexualität Zurückhaltung und Achtbarkeit singalisiert. Frauen, die diese Art von Weiblichkeit verkörpern, werden respektiert und als wertvoll angesehen. Ihr „Wert“ ergibt sich aus der Einhaltung des Ehevertrags: Diese Repräsentation von Weiblichkeit ist typisch für die Ehefrauen der Drogenhändler. Am anderen Ende des Spektrums stehen die am wenigsten geschätzten Frauen: Sie sind dunkelhäutigere Frauen, die viele Zubehör verwenden und deren Ästhetik mit der Arbeiterklasse assoziiert und als protzig gelesen wird. Das Verhalten dieser Frauen gilt als vulgär und freizügig. Frauen, die diese Art von Weiblichkeit verkörpern, werden diskriminiert und objektiviert und ihr niedriger Status in der Welt des Drogenhandels macht sie besonders anfällig für Gewalt.

Diese Frauen, die Buchonas genannt werden, repräsentieren eine abgewertete Version von Weiblichkeit, die mit der von den traditionellen Geschlechternormen geforderten Anständigkeit und Diskretion kollidiert. Es sind Frauen, die als vulgär empfunden werden, weil ihre Körper Anzeichen von aggressiver Sexualität aufweisen und sie Verhaltensweisen annehmen, die mit den sozialen Einschränkungen brechen, die Frauen auferlegt werden. Ihre kulturellen Praktiken und ihr Konsum werden mit den arbeitenden und ländlichen Klassen assoziiert. Bei den interviewten Frauen zeigt sich ein Spannungsfeld zwischen der attraktiven Freiheit, welche die Transgression des buchona-Seins verspricht, und dem Wunsch nach Achtbarkeit, welche jenen Frauen zukommt, die die Anforderungen der Gesellschaft erfüllen. Eines der zentralen Dilemmata bei der körperlichen Darstellung des buchona-Seins ist der Konflikt zwischen einer gesellschaftlich akzeptierten, aber restriktiven Weiblichkeit und einer Weiblichkeit, die Macht verleiht, aufgrund dessen aber gesellschaftlich sanktioniert wird.

Aus diesem Grund lehnen die von mir interviewten Frauen die Bezeichnung der buchona ab und nennen sich stattdessen cabronas. Die Bezeichnung cabrona stellt in diesem spezifischen Kontext eine Umdeutung eines umgangssprachlichen spanischen Begriffs dar, der gemeinhin als Beleidigung verwendet wird. Die cabrona wird hier zu einer Schlüsselfigur für die Entstehung weiblicher Subjektivität innerhalb der narcocultura. Die cabrona ist eine weibliche Trope, mit der global wirksame Erzählungen über das Frau-Sein als lokale Narrative von Weiblichkeit wirksam werden. In der Erfahrungswirklichkeit der Einzelschicksale bestimmt diese Trope die Möglichkeit, mit Angst umzugehen und Handlungsoptionen in einem Raum auszuloten, der ansonsten strikt von Männern beherrscht wird. 

Die cabrona steht für Unabhängigkeit und Stärke, Autonomie und Handlungsmacht. Sie konfrontiert traditionelle Diskurse über eine aufopfernde und fügsame Weiblichkeit und fordert dabei die männliche Dominanz heraus. Dies wirkt zugleich ermächtigend und stigmatisierend. Das Bild der cabrona hat auch Eingang in die Produktionen der Massenkultur gefunden. Es wird in Diskursen über Geschlecht vermittelt, die durch Bilder in sozialen Netzwerken, in Büchern und Workshops im Selbsthilfemarkt global zirkulieren und die Idee einer widerspenstigen Frau propagieren, die sich dem Konsum und Individualismus der kapitalistischen Kultur verschrieben hat. In diesen zeitgenössischen kulturellen Darstellungen sind Frauen stark und unnachgiebig, während aber weibliche Körpercodes und Praktiken beibehalten werden.

Im Kontext der narcocultura stoßen globale Diskurse über eine starke und unabhängige Frau, die über ökonomische Macht und eine selbstbestimmte Sexualität verfügt, auf die besonderen Bedingungen Nordmexikos. Extreme Gewalt, Machismo, ausgeprägte soziale Ungleichheiten und die Legitimationskrise des Staates adaptieren den globalen Diskurs über das ermächtigte Frau-Sein an die lokalen Verhältnisse und schaffen die Repräsentationen der buchona und cabrona. Für Frauen bedeutet die Übernahme der Rolle einer cabrona eine Ressource, um sich einer gewalttätigen Welt entgegenzustellen, in einem von Männern dominierten Raum Handlungsstrategien zu entwerfen und selbst zur Täterin zu werden.  Cabrona zu sein kann als Reaktion auf den verletzlichen und verletzten weiblichen Körper gelesen werden, aber auch als Möglichkeit, sich Gewalt anzueignen, um andere Körper zu verletzen. Es impliziert Unabhängigkeit, sexuelle Freiheit und wirtschaftlichen Erfolg. Mit der Ablehnung der Bezeichnung buchona lehnen die Frauen das Stigma ab, das mit dem Wort verbunden ist und soziale Diskriminierung, Rassismus und Sexismus impliziert. Cabrona zu sein stellt einen Weg dar, um jene globale Weiblichkeit zu verkörpern, welche in den Massenmedien als Ideal konstruiert wird. 

Die vorliegende Arbeit untersucht die Zusammensetzung dieser weiblichen Trope auf der Grundlage der mit den Frauen geführten Interviews und der Darstellung von weiblichen Charakteren in Romanen über den Drogenhandel, um auf diese Weise Brücken zwischen Fiktion und tatsächlichen Lebensrealitäten zu schlagen. Dabei haben Schönheit und die Fähigkeit zu verführen einen ambivalenten Nutzen. Auf der einen Seite wird viel Zeit, Geld und Sorgfalt in das Erreichen eines ästhetischen Ideals investiert, um jene Art von Frau zu werden, mit der sich ein Drogendealer rühmen kann. Das Objekt des Begehrens und Prunkstück des männlichen Narco zu sein ist für die Frauen eine Quelle des Stolzes. Gleichzeitig stehen sie durch die Annahme, schön sein müssen, um zu überleben, unter einem konstanten Druck. Sowohl die literarischen Texten als auch die Aussagen der Frauen in den Interviews weisen eine Naturalisierung der Frau als Prunkobjekt der Männer auf, und beschreiben die Wichtigkeit der weiblichen Schönheit als Mittel für Wertschätzung und Anerkennung, und damit die prekäre Lage des weiblichen Subjekts in der narcocultura: eine Subjektivität, die in Diskursen über ein unerreichbares weibliches Schönheitsideal verankert ist, und in der Frau-Sein den Launen und Bedürfnissen der Männer angepasst wird.

Gleichzeitig hat die weibliche Schönheit auch eine andere Facette. Weibliche Subjektivität in der narcocultura ist nicht nur das Ergebnis der Unterwerfung der Frauen unter Diskurse, die ihr Aussehen und Verhalten regeln. Schönheit ist auch ein Instrument in den Diensten der Frauen, um an Geld und Macht zu kommen. Schönheit und weibliche Verführungskunst werden zu Strategien der Gewinnung des Lebensunterhalts, und machen aus der Frau als unterworfenem Objekt ein unterwerfendes Subjekt. Damit eröffnen Schönheit und Verführungskunst einen gewissen Handlungsspielraum, der aber von klaren Limitierungen abgesteckt ist. Auch wenn diese weiblichen Strategien das Kräfteverhältnis hin zum weiblichen Subjekt verschieben, darf der spezifische Kontext einer gewalttätigen und machistischen Welt nicht außer Acht gelassen werden, der die Ausübung dieser weiblichen Macht zu einem heiklen und riskanten Balanceakt macht. Frauen, die sich in der narcocultura bewegen, sind in eine Welt der Gewalt eingetaucht, in der die Unkenntnis oder Missachtung ihrer Regeln und Grenzen den Tod bedeuten kann. Der gewaltsame Tod stellt in dieser Welt eine sehr reale Konsequenz von Vergehen oder Fehlern dar.

Dies führt zu der dritten Komponente des cabrona-Seins: dem Risiko. Für Männer und Frauen, die sich in der kulturellen Welt des Drogenhandels bewegen, stellen Risiken einen integralen Bestandteil des Lebens und der Konstitution von Subjektivität dar. In den untersuchten Interviews und literarischen Erzählungen gibt es viele Momente, in denen Frauen lebensbedrohliche Risikosituationen schildern und erleben. Die Erzählungen zeigen, wie sie ihre Rolle in einer solchen Situation interpretieren und sich selbst in Bezug auf diese Erfahrungen sehen. In der Rolle einer cabrona ist das Risiko wichtig, es zeigt aber auch die Verletzlichkeit des weiblichen Status in einer gewalttätigen Welt. Dabei bezeichnet das Eingehen von Risiken eine weitere Möglichkeit, sich als starke Frau zu behaupten und von geschlechtsspezifischen Dispositionen wie Passivität und Fügsamkeit zu distanzieren. Um sich in einer von Männern dominierten Welt bewähren zu können spielt die Kontrolle der Emotionen eine wesentliche Rolle. Gleichzeitig ist das Erkennen von Angst und Verletzlichkeit paradoxerweise auch das, was den Frauen hilft, zu überleben.

Hinter den Diskursen weiblicher Stärke und Macht verbirgt sich die Zerbrechlichkeit des Lebens in einer Welt, in der Gewalt und Machismo Frauen an den Rand von Leben und Tod bringen. Im Falle der vorliegenden Untersuchung untersagt das institutionelle Vakuum zur Gewährleistung der Sicherheit von Frauen in Mexiko den beschriebenen Frauen jeglichen Schutz, was wiederum die Bedeutung des Diskurses des cabrona-Seins als Überlebensstrategie erklärt. Cabrona zu sein stellt einen Weg dar, um sich in jener gewalttätigen Welt zu behaupten, der sie angehören wollen, in der sie letztlich aber gefangen bleiben.

In den vergangenen zehn Jahren hat das Interesse am Phänomen des mexikanischen Drogenhandels weltweit zugenommen. Die verschiedenen Ausdrucksformen extremer Gewalt, die das illegale Geschäft mit den Drogen begleiten, werden medial verbreitet und ausgeschlachtet und lösen breite Faszination aus. So wird die kollektive Vorstellungskraft über das Geschäft mit den Drogen mit Geschichten und Bildern aus Literatur, Film, Musik und Fernsehen genährt.

Dabei zirkulieren weltweit mediale Darstellungen der mexikanischen Drogenhändlerin, in welchen weibliche Stereotypen reproduziert und Frauen durch die Übertreibungen von den sexuellen Eigenschaften des weiblichen Körpers zu Objekten der Begierde gemacht werden, deren Schönheit den männlichen Drogenhändlern als Prestige- und Prunkstück dient. Die Kultur des Drogenhandels schreibt eine unverwechselbare weibliche Schönheitsnorm vor, welche von den involvierten Frauen akribisch nachgeahmt wird, um dem Ideal möglichst nah zu kommen. In den kulturellen Repräsentationen erscheint die in die narcocultura eingebundene Frau als gewalttätig und skrupellos, die ihre Schönheit und Anziehungskraft nutzt, um auf Kosten der verführten Männer an Geld und Macht zu gelangen. Außerhalb der Welt des Drogenhandels verursacht dieses hypersexualisierte Frauenbild negative Urteile, Diskriminierung, Misstrauen und Angst.

Die Absicht dieser Forschung besteht darin, hinter solche Stereotype zu blicken und nach der Komplexität der Lebenserfahrungen dieser Frauen zu fragen. Die vorliegende Doktorarbeit untersucht in welcher Weise sich die Lebensumstände mexikanischer Frauen unter dem Einfluss der narcocultura an der Grenze zu den USA verändern. Die Arbeit analysiert insbesondere die Transformationen von Körperlichkeit und Subjektempfinden der Frauen, sowie ihre dadurch beeinflusste Verortung im soziokulturellen Raum des Drogenhandels. Desweiteren wird untersucht, welche Spielräume der Selbstbehauptung und Selbstbestimmung sich für Frauen innerhalb der narcocultura ergeben.

Die Arbeit wird von den Fragen geleitet, auf welche Art und Weise die Frauen ihre Körper verändern, um ein bestimmtes ästhetisches Ideal zu erreichen, und welche Bedeutungen diesen Veränderungen zugeschrieben werden. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den unterschiedlichen Machtdynamiken, die von und durch diese Körper ausgelöst wurden, sowohl in den Beziehungen zu Männern als auch zu anderen Frauen.

Die Studie versteht sich als kulturwissenschaftliche Arbeit, geschrieben aus der Perspektive des intersektionalen Feminismus. Die Feldforschung wurde an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, insbesondere in den Städten des mexikanischen Nordwestens Mexicali und Tijuana, sowie im kalifornischen San Diego durchgeführt. Grenze wird dabei als polysemischer und heterogener Raum unterschiedlichster Bezüge und Deutungsmuster aufgefasst. Hieraus ergibt sich ein Befund äußerst vielfältiger und widersprüchlicher kultureller Phänomene.

Um jene kulturellen Phänomene zu verstehen, die von der Nordgrenze Mexikos ausgehen, ist das Konzept der transfrontera von José Valenzuela Arce (2014) hilfreich. Der Wissenschaftler schlägt vor, grenzüberschreitende Gebiete zu verstehen als “espacios que se niegan a una sola de las condiciones o los lados que la integran” (S. 9). In diesem Sinne beschreibt das Konzept der transfrontera Prozesse der Konnektivität und Gleichzeitigkeit, die durch die Globalisierung erzeugt werden und die Bedeutung von Staatsterritorium neu definieren. Gleichzeitig beschreibt es aber auch jene Eingrenzungen, welche von Staaten eingesetzt werden, um nationale Narrativen aufrechtzuerhalten, die als “referentes organizadores de adscripciones identitarias y culturales” (S. 18) Differenz und Ungleichheiten schaffen. Als solches kann eine Grenze weder nur als territoriale Begrenzung oder hierarchisierende Ein- bzw. Ausgrenzung von Personen erklärt werden, noch kann sie in ihrem vollständigen Ausmaß erfasst werden, wenn wir uns nur auf die Prozesse der kulturellen Hybridisierung konzentrieren, die in diesen Räumen stattfinden. Aus diesem Grund beschreibt Valenzuela Grenzen als Zwischenräume und Zwischenzeiten.

  Das Konzept der transfronteras hilft zu verstehen, wie sich das Globale und Lokale in semiotischen Systemen überschneiden, aus denen sich das kulturelle Universum des mexikanischen Drogenhandels zusammensetzt, und erklärt, wie Ausschlussmechanismen und Hierarchien auf der Grundlage von Geschlecht, sozialer Stellung und anderen Merkmalen sozialer Differenzierung strukturiert sind. Letztlich hilft es, jene kulturellen Prozesse zu lokalisieren, die sich in den Körpern der Frauen materialisieren.

Des Weiteren erwies sich das Konzept als wichtiges heuristisches Werkzeug. Kultur wird vor diesem Hintergrund verstanden als ein Prozess aus Produktion und Reproduktion symbolischer Modelle: Diese können sich als Artefakte oder Repräsentationen sowie als verinnerlichte Logiken der Lebensführung zeigen, eines Kanons von Werten und Glaubensgrundsätzen, die auf Grundlage individueller und kollektiver Praktiken von Frauen und Männern in historisch und räumlich spezifischen Kontexten zirkulieren. Die vorliegende Arbeit versteht narcocultura als ein semiotisches System, das sich rund um das transnationale und für den nordmexikanischen Grenzraum so typische Geschäft des illegalen Drogenhandels gebildet hat und sich durch äußerst diffuses Grenzen auszeichnet. So sind die Unterschiede zwischen der illegalen Welt des Drogenhandels und der Welt der Legalität außerhalb dieses Geschäfts bestenfalls verschwommen, schlimmstenfalls fiktiv. Die narcocultura überschreitet territoriale Grenzen und ist damit ein transnationales kulturelles Phänomen.

Es galt, die Merkmale der lateinamerikanischen Kulturwissenschaften (Estudios Culturales) und der Kulturwissenschaften in Deutschland abzugrenzen, die Genealogien dieser beiden Perspektiven zu unterscheiden und ihre Unterschiede zu verstehen. Vor allem aber ging es darum, Gemeinsamkeiten zu finden. Die zentrale Gemeinsamkeit ist dabei der transdisziplinäre Charakter dieser beiden akademischen Traditionen. Kulturwissenschaften werden dann als ein Raum der Artikulation zwischen den Disziplinen verstanden (Castro Gómez, 2002), der nicht auf die Vereinigung, sondern auf die Pluralisierung von Bedeutungen, Einstellungen und Wahrnehmungsweisen abzielt (Bachmann-Medick, 2016). Transdisziplinarität ermöglicht es, die Komplexität kultureller Phänomene nachzuvollziehen und Brücken zwischen verschiedenen Wissensformen und Forschungspraktiken zu schlagen.

Dabei ist die Perspektive des intersektionalen Feminismus für die Untersuchung zentral. Ein Beitrag des Feminismus an die Kulturwissenschaften, der die vorliegende Forschung beeinflusst hat, besteht darin, “Mann” und “Frau” als gegebene und unveränderliche natürliche Essenzen zu hinterfragen, ausgehend von folgender Prämisse: “los signos ‚hombre‘ y ‚mujer‘ son construcciones discursivas que el lenguaje de la cultura proyecta e inscribe en el escenario de los cuerpos, disfrazando sus montajes de signos tras la falsa apariencia de que lo masculino y lo femenino son verdades naturales, ahistóricas” (Richard, 2009, p. 77). Feministische Kulturwissenschaften gehen davon aus, dass diese Zeichen in einem System von Repräsentationen konstruiert werden, die Subjektivitäten in konkreten Kulturwelten artikulieren. Ihr Ziel ist es deshalb, die ideologischen Elemente, welche die Zeichen prägen, und die Konflikte, die durch ihre Verwendung und Interpretation entstehen, in bedeutenden Praktiken zu enthüllen.

Durch das Zusammenwirken mit weiteren sozialen Kategorien erhalten diese Zeichen unterschiedliche Bedeutungen und Ausgestaltungen von Differenz. Feministische Intersektionalität ist ein theoretischer und methodischer Diskurs, der die Erkenntnis vertritt, dass das Zeichen „Frau“ keine absolute Kategorie ist und daher die vielfältigen Lebenserfahrungen von Frauen nicht allein zu erklären vermag. Unterschiede werden nur dann lesbar, wenn sie als Überschneidungen von verschiedenen sozialen Kategorien wie sozialer Status, Rasse, Alter und Behinderung untersucht werden. Soziale Unterschiede basieren auf der diskursiven Naturalisierung der verschiedenen Merkmale von sozialen Kategorien, die ihrerseits sich verändernde soziale Konstrukte darstellen. Das Ziel einer intersektionalen Perspektive ist es, das Zusammenwirken verschiedener sozialer Kategorien in Institutionen, Praktiken und Subjektivitäten zu identifizieren, um zu verstehen, wie sich Ungleichheiten im Laufe der Zeit materialisieren.

Die für diese Arbeit grundlegenden theoretischen Konzepte sind Körper und Subjektivität. Körper wird hier verstanden als Ausdruck kultureller Codes und sozialer Hierarchien, als dynamische und wandelbare Grenze, an der das Körperliche, das Symbolische und das Soziale konvergieren. Subjekt und Körper konstituieren sich wechselseitig; der Körper ist das Medium, durch welches das Subjekt die soziale Umwelt erfährt, und es sind diese Erfahrungen, die das Subjekt dazu bringen, gesellschaftliche Unterschiede, etwa aufgrund von Rasse, des sozialen oder biologischen Geschlechts oder der sozialen Stellung zu verkörpern.

Für eine erleichterte Analyse konzentriert sich ein Teil der Arbeit auf den Körper, während der andere den Aspekt der Subjektivität in den Blick nimmt – stets im Bewusstsein der untrennbaren Beziehung, in welcher Körper und Subjektivität zueinanderstehen. Um die Dimension des Körperlichen zu verstehen werden Repräsentation und gelebte Erfahrung in ein Spannungsverhältnis gesetzt und anhand von audiovisuellem Material und ethnographischen Beobachtungen verglichen. Im Falle der Subjektivität werden die fiktiven Lebensdarstellungen in Romanen, den in qualitativ erhobenen Interviews erzählten Lebensgeschichten gegenübergestellt, um so die Brücke zwischen Repräsentation und gelebter Erfahrung zu schlagen.

Damit ist die vorliegende Studie qualitativ und transdisziplinär angelegt, wobei verschiedene Untersuchungsmethoden zum Einsatz kamen. Ethnographische Feldforschung wurde auf beiden Seiten der Grenze in verschiedenen Bars und Clubs durchgeführt, die bekanntermaßen von Menschen aus dem Umfeld der narcocultura oder von in den Drogenhandel involvierten Personen frequentiert werden. Bei den Begehungen vor Ort wurde das Erscheinungsbild der Frauen beobachtet: ihr Kleidungsstil, ihre Aufmachung, ihre Figur. Ebenso wurde ihr Verhalten untersucht: die Gestik und die Interaktionen mit anderen Personen vor Ort. Der soziale Raum der besuchten Lokalitäten wurde hinsichtlich der Etablierung von Regeln, Grenzen und Hierarchien zwischen Männern und Frauen untersucht. Drei Musikvideos von narcocorridos wurden auf Grundlage der Videohermeneutik mit dem Ziel analysiert, die Darstellungen von Frauen anhand jener physischen und verhaltensspezifischen Kriterien zu untersuchen, die bereits vorgestellt wurden.

Die methodische Kombination von Videoanalyse und ethnographischer Feldforschung ermöglicht eine vertiefte Untersuchung jener Bedeutungen, die weiblicher Körperlichkeit zugeschrieben werden, sowie der Wirkung dieser Zuschreibungen auf die Lebenswelten und sozialen Beziehungen der Frauen.

Es wurden fünf teilstrukturierte Interviews mit Frauen durchgeführt, die sich selbst als Teil der narcocultura identifizierten. Einige von ihnen sympathisieren mit dem dazu gehörenden Lebensstil, andere waren auf verschiedene Weise direkt in den illegalen Handel mit Drogen involviert. Die Interviews nahmen die Aussagen der Frauen über ihre Lebenswirklichkeit als Ausgangspunkt für eine Analyse von Diskursen über Weiblichkeit, Frau-Sein und Alltag als Frau in der Welt des Drogenhandels. Außerdem habe ich zwei literarische Erzählungen über den Drogenhandel in Nordmexiko mit weiblichen Protagonistinnen verwendet. Ich habe die Konstruktion des weiblichen Subjekts in der Erzählung untersucht sowie die in diesen Texten erkennbaren Diskurse über Weiblichkeit und Frau-Sein in der Welt des narco.

Auch an dieser Stelle werden Repräsentation und gelebte Erfahrung einander gegenübergestellt, um diskursive Gemeinsamkeiten in den literarischen Erzählungen und den in den Interviews geschilderten Erfahrungen der Frauen herauszuarbeiten und so Erklärungen für Subjektivierungsprozesse in der mexikanischen narcocultura zu finden.

Der erste Teil der Analyse stellt die ethnographische Beobachtung in einen Dialog mit dem audiovisuellen Material, um die ästhetischen Anforderungen zu verstehen, welche die narcocultura an Frauen stellt, sowie die Art und Weise, wie Frauen ihre Körper verändern, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Die narcocultura zwingt den Frauen ein ästhetisches Ideal auf, dessen Umsetzung exklusiven Zutritt und Einfluss in dieser Welt verspricht. Das Ideal verlangt einen spezifischen Typus von Physiognomie und Erscheinungsbild, dem die Frauen mithilfe verschiedener Körpereingriffe versuchen gerecht zu werden: Make-up, Haar-Styling und/oder plastische Chirurgie. Dazu kommt ein spezieller Modestil aus exklusiven globalen Marken, sowohl für Kleidung als auch Accessoires, den es zu bedienen gilt. Je zuverlässiger dieses Ideal erfüllt wird, desto eher ermöglicht das den Frauen den Zugang zu finanziellen und gesellschaftlichen Vorteilen, mit denen sie sich Handlungsspielräume innerhalb des sozialen Milieus verschaffen. Der Körper ist das primäre Merkmal, um die Position zu bestimmen, welche die Frauen innerhalb der hierarchisierenden Systeme von Inklusion und Exklusion in den physischen und sozialen Räumen der narcocultura besetzen. Diese Differenzierungsmechanismen reproduzieren die sozialen Ungleichheiten von Geschlecht, Alter, sozialer Herkunft und Rasse, welche sich auch in anderen Milieus der mexikanischen Gesellschaft beobachten lassen.

Die ethnographische Beobachtung und audiovisuelle Analyse zeigen, dass die Möglichkeiten, Weiblichkeit darzustellen, auf ein sehr enges Repertoire beschränkt sind. Alicia Gaspar de Alba nennt dies das Drei-Maria-Syndrom (Three Maria Syndrome), welches sie definiert als “the patriarchal social discourse of Chicano/Mexicano culture that constructs women’s gender and sexuality according to three Biblical archetypes -virgins, mothers and whores-” (Gaspar de Alba, 2014, Pos.3412). Diese Darstellungen von Weiblichkeit sind Allegorien jener Zwänge, welche die mexikanische Machista-Kultur den Frauen auferlegt und sie einem begrenzten Repertoire an Lebensentscheidungen und der sozialen Kontrolle ihrer Sexualität unterwirft. Die Positionen, welche Frauen in der narcocultura besetzen ergeben sich aus ihrer körperlichen Schönheit: der Körper wird dadurch zu ihrer wichtigsten Referenz, um sich selbst als Subjekte zu definieren.

Frauen sind Objekte der Begierde, deren Schönheit ein weiteres Juwel in der Krone eines Drogenhändlers darstellt, ein Besitztum unter vielen für die Zurschaustellung seiner Macht. Gleichzeitig finden sich auch immer häufiger Repräsentationen von Frauen als aktive Subjekte, die sich, gleich den Männern, am Geschäft und der Gewalt des Drogenhandels beteiligen. Diese Frauen verstoßen gegen das traditionelle mexikanische Ideal von Weiblichkeit, welches Fügsamkeit, Sanftheit und Unterwerfung, Bescheidenheit und Gelassenheit vorschreibt. Frauen nehmen Qualitäten an, die als männlich gelten, indem sie die Ausübung von Gewalt und sexueller Aggression für sich in Anspruch nehmen, um zu zeigen, dass auch sie sich in einer aggressiven und hypermaskulinen Welt bewegen können. Und dennoch bleibt auch die mutige und kämpferische Frau innerhalb jener Grenzen gefangen, welche die patriarchale Kultur dem heterosexuellen Regime auferlegt und folgen damit den Vorschriften des Drei-Maria-Syndroms auf den Punkt genau.

Dies zeigt sich in einem hierarchischen System, in welchem Frauen in der Narkokultur nach bestimmten Kriterien bewertet werden, in denen sich die Komponenten von Rasse, Geschlecht und Klasse überschneiden. Obwohl diese Unterscheidungsmerkmale sich auf sehr unterschiedliche Weise in den Körper einer Frau einschreiben, lässt sich durch die Analyse der Repräsentationen und ethnographischen Beobachtungen feststellen, dass die privilegiertesten Frauen diejenigen sind, die die Merkmale eines hohen ökonomische Status verkörpern: Sie sind hellhäutig, attraktiv und achten auf eine diskrete Repräsentation von Weiblichkeit, die insbesondere im Ausdruck von Sexualität Zurückhaltung und Achtbarkeit singalisiert. Frauen, die diese Art von Weiblichkeit verkörpern, werden respektiert und als wertvoll angesehen. Ihr „Wert“ ergibt sich aus der Einhaltung des Ehevertrags: Diese Repräsentation von Weiblichkeit ist typisch für die Ehefrauen der Drogenhändler. Am anderen Ende des Spektrums stehen die am wenigsten geschätzten Frauen: Sie sind dunkelhäutigere Frauen, die viele Zubehör verwenden und deren Ästhetik mit der Arbeiterklasse assoziiert und als protzig gelesen wird. Das Verhalten dieser Frauen gilt als vulgär und freizügig. Frauen, die diese Art von Weiblichkeit verkörpern, werden diskriminiert und objektiviert und ihr niedriger Status in der Welt des Drogenhandels macht sie besonders anfällig für Gewalt.

Diese Frauen, die Buchonas genannt werden, repräsentieren eine abgewertete Version von Weiblichkeit, die mit der von den traditionellen Geschlechternormen geforderten Anständigkeit und Diskretion kollidiert. Es sind Frauen, die als vulgär empfunden werden, weil ihre Körper Anzeichen von aggressiver Sexualität aufweisen und sie Verhaltensweisen annehmen, die mit den sozialen Einschränkungen brechen, die Frauen auferlegt werden. Ihre kulturellen Praktiken und ihr Konsum werden mit den arbeitenden und ländlichen Klassen assoziiert. Bei den interviewten Frauen zeigt sich ein Spannungsfeld zwischen der attraktiven Freiheit, welche die Transgression des buchona-Seins verspricht, und dem Wunsch nach Achtbarkeit, welche jenen Frauen zukommt, die die Anforderungen der Gesellschaft erfüllen. Eines der zentralen Dilemmata bei der körperlichen Darstellung des buchona-Seins ist der Konflikt zwischen einer gesellschaftlich akzeptierten, aber restriktiven Weiblichkeit und einer Weiblichkeit, die Macht verleiht, aufgrund dessen aber gesellschaftlich sanktioniert wird.

Aus diesem Grund lehnen die von mir interviewten Frauen die Bezeichnung der buchona ab und nennen sich stattdessen cabronas. Die Bezeichnung cabrona stellt in diesem spezifischen Kontext eine Umdeutung eines umgangssprachlichen spanischen Begriffs dar, der gemeinhin als Beleidigung verwendet wird. Die cabrona wird hier zu einer Schlüsselfigur für die Entstehung weiblicher Subjektivität innerhalb der narcocultura. Die cabrona ist eine weibliche Trope, mit der global wirksame Erzählungen über das Frau-Sein als lokale Narrative von Weiblichkeit wirksam werden. In der Erfahrungswirklichkeit der Einzelschicksale bestimmt diese Trope die Möglichkeit, mit Angst umzugehen und Handlungsoptionen in einem Raum auszuloten, der ansonsten strikt von Männern beherrscht wird. 

Die cabrona steht für Unabhängigkeit und Stärke, Autonomie und Handlungsmacht. Sie konfrontiert traditionelle Diskurse über eine aufopfernde und fügsame Weiblichkeit und fordert dabei die männliche Dominanz heraus. Dies wirkt zugleich ermächtigend und stigmatisierend. Das Bild der cabrona hat auch Eingang in die Produktionen der Massenkultur gefunden. Es wird in Diskursen über Geschlecht vermittelt, die durch Bilder in sozialen Netzwerken, in Büchern und Workshops im Selbsthilfemarkt global zirkulieren und die Idee einer widerspenstigen Frau propagieren, die sich dem Konsum und Individualismus der kapitalistischen Kultur verschrieben hat. In diesen zeitgenössischen kulturellen Darstellungen sind Frauen stark und unnachgiebig, während aber weibliche Körpercodes und Praktiken beibehalten werden.

Im Kontext der narcocultura stoßen globale Diskurse über eine starke und unabhängige Frau, die über ökonomische Macht und eine selbstbestimmte Sexualität verfügt, auf die besonderen Bedingungen Nordmexikos. Extreme Gewalt, Machismo, ausgeprägte soziale Ungleichheiten und die Legitimationskrise des Staates adaptieren den globalen Diskurs über das ermächtigte Frau-Sein an die lokalen Verhältnisse und schaffen die Repräsentationen der buchona und cabrona. Für Frauen bedeutet die Übernahme der Rolle einer cabrona eine Ressource, um sich einer gewalttätigen Welt entgegenzustellen, in einem von Männern dominierten Raum Handlungsstrategien zu entwerfen und selbst zur Täterin zu werden.  Cabrona zu sein kann als Reaktion auf den verletzlichen und verletzten weiblichen Körper gelesen werden, aber auch als Möglichkeit, sich Gewalt anzueignen, um andere Körper zu verletzen. Es impliziert Unabhängigkeit, sexuelle Freiheit und wirtschaftlichen Erfolg. Mit der Ablehnung der Bezeichnung buchona lehnen die Frauen das Stigma ab, das mit dem Wort verbunden ist und soziale Diskriminierung, Rassismus und Sexismus impliziert. Cabrona zu sein stellt einen Weg dar, um jene globale Weiblichkeit zu verkörpern, welche in den Massenmedien als Ideal konstruiert wird. 

Die vorliegende Arbeit untersucht die Zusammensetzung dieser weiblichen Trope auf der Grundlage der mit den Frauen geführten Interviews und der Darstellung von weiblichen Charakteren in Romanen über den Drogenhandel, um auf diese Weise Brücken zwischen Fiktion und tatsächlichen Lebensrealitäten zu schlagen. Dabei haben Schönheit und die Fähigkeit zu verführen einen ambivalenten Nutzen. Auf der einen Seite wird viel Zeit, Geld und Sorgfalt in das Erreichen eines ästhetischen Ideals investiert, um jene Art von Frau zu werden, mit der sich ein Drogendealer rühmen kann. Das Objekt des Begehrens und Prunkstück des männlichen Narco zu sein ist für die Frauen eine Quelle des Stolzes. Gleichzeitig stehen sie durch die Annahme, schön sein müssen, um zu überleben, unter einem konstanten Druck. Sowohl die literarischen Texten als auch die Aussagen der Frauen in den Interviews weisen eine Naturalisierung der Frau als Prunkobjekt der Männer auf, und beschreiben die Wichtigkeit der weiblichen Schönheit als Mittel für Wertschätzung und Anerkennung, und damit die prekäre Lage des weiblichen Subjekts in der narcocultura: eine Subjektivität, die in Diskursen über ein unerreichbares weibliches Schönheitsideal verankert ist, und in der Frau-Sein den Launen und Bedürfnissen der Männer angepasst wird.

Gleichzeitig hat die weibliche Schönheit auch eine andere Facette. Weibliche Subjektivität in der narcocultura ist nicht nur das Ergebnis der Unterwerfung der Frauen unter Diskurse, die ihr Aussehen und Verhalten regeln. Schönheit ist auch ein Instrument in den Diensten der Frauen, um an Geld und Macht zu kommen. Schönheit und weibliche Verführungskunst werden zu Strategien der Gewinnung des Lebensunterhalts, und machen aus der Frau als unterworfenem Objekt ein unterwerfendes Subjekt. Damit eröffnen Schönheit und Verführungskunst einen gewissen Handlungsspielraum, der aber von klaren Limitierungen abgesteckt ist. Auch wenn diese weiblichen Strategien das Kräfteverhältnis hin zum weiblichen Subjekt verschieben, darf der spezifische Kontext einer gewalttätigen und machistischen Welt nicht außer Acht gelassen werden, der die Ausübung dieser weiblichen Macht zu einem heiklen und riskanten Balanceakt macht. Frauen, die sich in der narcocultura bewegen, sind in eine Welt der Gewalt eingetaucht, in der die Unkenntnis oder Missachtung ihrer Regeln und Grenzen den Tod bedeuten kann. Der gewaltsame Tod stellt in dieser Welt eine sehr reale Konsequenz von Vergehen oder Fehlern dar.

Dies führt zu der dritten Komponente des cabrona-Seins: dem Risiko. Für Männer und Frauen, die sich in der kulturellen Welt des Drogenhandels bewegen, stellen Risiken einen integralen Bestandteil des Lebens und der Konstitution von Subjektivität dar. In den untersuchten Interviews und literarischen Erzählungen gibt es viele Momente, in denen Frauen lebensbedrohliche Risikosituationen schildern und erleben. Die Erzählungen zeigen, wie sie ihre Rolle in einer solchen Situation interpretieren und sich selbst in Bezug auf diese Erfahrungen sehen. In der Rolle einer cabrona ist das Risiko wichtig, es zeigt aber auch die Verletzlichkeit des weiblichen Status in einer gewalttätigen Welt. Dabei bezeichnet das Eingehen von Risiken eine weitere Möglichkeit, sich als starke Frau zu behaupten und von geschlechtsspezifischen Dispositionen wie Passivität und Fügsamkeit zu distanzieren. Um sich in einer von Männern dominierten Welt bewähren zu können spielt die Kontrolle der Emotionen eine wesentliche Rolle. Gleichzeitig ist das Erkennen von Angst und Verletzlichkeit paradoxerweise auch das, was den Frauen hilft, zu überleben.

Hinter den Diskursen weiblicher Stärke und Macht verbirgt sich die Zerbrechlichkeit des Lebens in einer Welt, in der Gewalt und Machismo Frauen an den Rand von Leben und Tod bringen. Im Falle der vorliegenden Untersuchung untersagt das institutionelle Vakuum zur Gewährleistung der Sicherheit von Frauen in Mexiko den beschriebenen Frauen jeglichen Schutz, was wiederum die Bedeutung des Diskurses des cabrona-Seins als Überlebensstrategie erklärt. Cabrona zu sein stellt einen Weg dar, um sich in jener gewalttätigen Welt zu behaupten, der sie angehören wollen, in der sie letztlich aber gefangen bleiben.